«Die Welt bestimmt auf Gedeih und Verderben, wie es mit Europa weitergeht», orakelte im Januar letzten Jahres Nicole Gnesotto, Vize-Präsidentin des Jacques-Delors-Instituts «Notre Europe». Diese ungemütliche Lage diagnostizierte sie, längst bevor Trump Angst und Schrecken verbreitete. Die Drohkulisse, die der US-Präsident seit seiner Wahl aufzieht, war noch fern. Europa durfte sich vergleichsweise wenig bedrängt und verunsichert fühlen. Inzwischen hat sich die Szenerie verdüstert.
Was Trump bereits angekündigt oder in Gang gesetzt hat: Zollaufschläge bis zu 20 Prozent auf Importen, Ausbau der Erdöl- und Gasförderung in den USA, Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen, Streichung von Subventionen an die Energiewende, tiefere Steuern für Unternehmen, Deregulierung der Finanzmärkte, Aufstockung der Militärausgaben auf drei, vier oder gar fünf Prozent der Wirtschaftskraft, Grönland entwenden, mit Russland einen «Deal» schliessen ohne Einbezug der EU.
Jede einzelne Massnahme kann Europa schwer treffen, alle zusammen umso mehr. Die Risiken:
- Europäische Exporte brechen ein.
- Unternehmen lagern ihre Investitionen in die steuergünstigen USA aus.
- Tiefere Erdöl- und Gaspreise machen die Investitionen in die Energiewende unattraktiv.
- Die kostbaren Mineralien in Grönland gehen für Europa verloren.
- Internationales Unrecht und Chaos statt Recht werden zur Regel.
Die EU tut sich schwer
Europa tut sich schwer, sich zu positionieren. Eine gemeinsame Antwort ist nicht in Sicht. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen flüchtete sich am WEF in Davos in die Floskel, Priorität sei «frühzeitig in Kontakt zu treten, gemeinsame Interessen zu erörtern», als ob es US-Präsident Trump um gemeinsame Interessen gehen würde. Bundeskanzler Scholz gab sich am Rande des EU-Gipfels zumindest kämpferisch. «Als starker Wirtschaftsraum können wir selber unsere Dinge gestalten und können auch auf Zollpolitiken mit Zollpolitiken reagieren.» Frankreichs Präsident Macron warnte gar: Die jüngsten Schritte der US-Regierung würden nur dazu führen, dass Europa stärker und geeinter auftreten werde. Der Präsident des Europäischen Rates, Antonio Costa hingegen betonte die engen Bande zu den USA: «Die Vereinigten Staaten sind unser Freund, unser Verbündeter und unser Partner.» Diese Beziehung sei «tief verwurzelt und wird langfristig bestehen».
Nach gemeinsamer Linie tönt das nicht. Obwohl Trump bereits seit der Wahl im letzten November mit Massnahmen drohte, ist die EU offensichtlich nicht vorbereitet. Der Brüsseler Think-Tank Bruegel, der das europapolitische Geschehen genau beobachtet, stellte fest: «Präsident Trump ist mit seiner Drohung einer territorialen Ausdehnung und mit der Geschwindigkeit, der Aggressivität und der Missachtung der Rechtsstaatlichkeit, mit der er seine Politik umzusetzen begonnen hat, weiter gegangen als erwartet.»
Ob die EU Stärke oder Schwäche zeigen wird, ist offen. Die Gefahr ist real, «dass einzelne Mitgliedstaaten versuchen, Zugeständnisse und Ausnahmen von Trump zu erhalten, und zwar auf Kosten einer stärkeren, einheitlichen europäischen Verhandlungsposition», befürchtet Arthur Leichthammer vom Jacques Delors Centre in Berlin. Zu Trumps Gewohnheiten gehört auch die Methode «teilen und herrschen». Deshalb pflegt er privilegierte Beziehungen zu einzelnen EU-Mitgliedstaaten wie beispielsweise Italien oder Ungarn.
Viele Werkzeuge der Abschreckung wären vorhanden
Zur Wehr setzen kann sich die EU durchaus. Sie verfügt über einen handelspolitischen Instrumentenkasten zur Abwehr unfreundlicher Attacken. Sie gab sich seit der ersten Amtszeit Trumps eine ganze Reihe wirtschafts- und handelspolitischer Kompetenzen. Leichthammer listet sie in einer zusammen mit Elvira Fabry vom Jacques Delors Institute in Paris publizierten Analyse über die «Kunst des Handelns der EU» auf.
- Die EU kann mit Zollerhöhungen auf ausgewählten Branchen und Produkten gegen Zollerhöhungen der USA reagieren.
- Sie kann auch US-Dienstleistern Zugänge zum Binnenmarkt beschneiden.
- Sie kann US-Wettbewerber von öffentlichen Beschaffungen ausschliessen.
- Sie kann auf Zwangsmassnahmen der USA mit Anti-Zwangsmassnahmen unterschiedlichster Art reagieren.
Entscheiden kann eine qualifizierte Mehrheit
Die EU hat in den letzten Jahren ihre handelspolitischen Kompetenzen verschärft – nach den Erfahrungen mit den USA seit der ersten Amtszeit von Trump und auch als Reaktion auf wirtschaftlich sensible Abhängigkeiten von China. Zusammen haben sie das Potenzial für eine glaubwürdige Abschreckungsstrategie, mit der die EU ihre Verhandlungsposition stärken kann. Und da die Mitgliedstaaten bei den handelspolitischen Abwehrmassnahmen kein Vetorecht haben, also eine qualifizierte Mehrheit ausreicht, ist die EU handlungsfähig, sofern sie den Willen dazu aufbringt.
Zuckerbrot und Peitsche
Ergänzend dazu schlagen Elvire Fabry und Arthur Leichthammer nach dem Motto «Carrots work alongside sticks» – Zuckerbrote und Peitsche – vor, Trump Angebote zu unterbreiten.
Die EU könne die seit dem Krieg in der Ukraine bereits stark gestiegenen LNG-Gas-Importe aus den USA weiter erhöhen auf Kosten der noch immer respektabel hohen Gasimporte aus Russland. Da Trump die Gasproduktion ohnehin erhöhen will, könnte er ein solches Angebot willkommen heissen. Die EU könnte auch in Aussicht stellen, mehr Rüstungsgüter zu kaufen. Die in Gang gesetzte Aufrüstung könne auch der US-Rüstungsindustrie zugutekommen, selbst wenn die EU künftig die Hälfte oder gar zwei Drittel im eigenen Binnenmarkt vergeben will.
Ob mit der Mischung von «Carrots and sticks» Trump zu besänftigen ist? Europa muss sich unabhängig davon darauf einstellen, dass die USA unter Trump kein verlässlicher Bündnispartner sind.
Saat für eine anti-amerikanische Allianz – selbst mit China
Die in der EU geläufig gewordenen Forderungen nach «De-Risking» und «De-Coupling», die sich bisher gegen einseitige Abhängigkeiten von China richteten, werden jetzt auch im Verhältnis zu den USA zum Thema. Leichthammer und Fabry fordern mehr Zusammenarbeit mit den anderen von Trumps neuen Zöllen betroffenen Ländern in Afrika, in Asien und Lateinamerika – aber auch mit China. Es könnte entstehen, was der Chef-Kolumnist für Aussenpolitik der «Financial Times», Gideon Rachman, dieser Tage festgestellt hat: «Trump setzt die Saat für eine anti-amerikanische Allianz»
Es ist mehr als eine aufsehenerregende Schlagzeile. Wenn es um Klimaziele und Energiewende in Europa geht, drängt sich eine neue Allianz geradezu auf. Denn ohne Zusammenarbeit mit China sind sie nach dem den Rückzug von Trump aus dem Pariser Abkommen und seinem Beschluss vermehrt Erdöl und Gas zu fördern, nicht zu schaffen. Es ist deshalb nicht überraschend, dass der frühere Chef der britischen Finanzmarktaufsicht, Lord Adair Turner, als Chef der «Energy Transition Commission» fordert: «China, Europa und das Vereinigte Königreich sollten eine Klimakoalition bilden». Denn ohne Chinas Autos, Batterien und Solarpanels wird die EU ihre ambitionierten Klimaziele und die Transformation zu einer klimaschonenden Wirtschaft nicht erreichen.
Ob die Schockwellen, die Donald Trump mit Ankündigungen, Drohungen und Entscheiden in hohem Tempo auslöst, Europa aufwecken? Es wird sich zeigen, ob «ein starkes Europa» mehr als nur ein Versprechen ist, heisst es besorgt im Februar-Newsletter des Jacques Delors Institute «Notre Europe».
Weiterführende Informationen
- Kommentar auf Infosperber: Europa wach auf!
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.