Nach Angaben des ukrainischen Militärs kommen die russischen Truppen immer langsamer voran. Großbritannien und die USA bestätigen den stockenden Vormarsch. Im Südosten des Landes musste die ukrainische Armee aber Stellungen aufgeben.
Der Vormarsch der russischen Armee in der Ukraine scheint sich nach Angaben Großbritanniens, der USA sowie der Ukraine zu verlangsamen. "Die russischen Besatzer haben das Tempo der Offensive verringert, versuchen aber immer noch, in einigen Gebieten Erfolge zu erzielen", teilte der Generalstab der ukrainischen Streitkräfte mit.
Die russische Offensive gegen die ukrainische Hauptstadt Kiew wurde nach Angaben des ukrainischen Militärs fortgesetzt. In Kiew und Charkiw, der zweitgrößten Stadt der Ukraine, gab es demnach mehrere Explosionen. Im Norden Kiews habe die russische Armee versucht, eine Pontonbrücke zu bauen, um den Fluss Irpin zu überqueren, schrieb der ukrainische Generalstab auf Facebook. Ein weiterer Versuch, die Stadt Irpin kurz vor Kiew zu erobern, sei erfolglos gewesen.
In Charkiw sollen die Angriffe heftig gewesen sein. Der Berater des Innenministers, Anton Heraschtschenko, veröffentlichte ein Video, das mehrere Raketeneinschläge in einem Wohngebiet zeigte. Es gebe Dutzende Tote und Hunderte Verletzte. Russland dagegen behauptete, die ukrainischen "Nationalisten" würden die von russischen Truppen umstellten Städte selber beschießen.
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch offizielle Stellen der russischen und der ukrainischen Konfliktparteien können in der aktuellen Lage nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.
Zuvor hatte bereits das US-Verteidigungsministeriums erklärt, dass der russische Vormarsch von heftiger Gegenwehr der Ukrainer gebremst worden sei. "Die Ukrainer leisten erbitterten Widerstand", sagte ein hochrangiger Mitarbeiter des Ministeriums in einem Briefing für Journalisten. "Das ist heldenhaft, das ist inspirierend, und das ist für die Welt sehr deutlich zu sehen." Man beobachte zudem "Treibstoff- und Logistikengpässe" der russischen Truppen, hieß es.
Auch das britische Verteidigungsministerium erklärte auf Basis neuer Geheimdienstinformationen, der Vorstoß der russischen Truppen auf Kiew habe sich wegen des starken Widerstands der ukrainischen Streitkräfte und logistischer Probleme verlangsamt. Der Großteil der russischen Bodentruppen befinde sich weiterhin rund 30 Kilometer vor Kiew. Auch der strategisch wichtige Flughafen Hostomel werde weiter von ukrainische Soldaten gehalten.
Russische Truppen eroberten nach Angaben aus Moskau jedoch die ukrainischen Städte Berdjansk und Enerhodar im Südosten des Landes. Sie stünden unter russischer Kontrolle, teilte der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, mit. Die Einnahme von Berdjansk am Asowschen Meer wurde von ukrainischer Seite bestätigt. Die Stadt liegt auf dem Weg von der von Russland annektierten Krim zur umkämpften Hafenmetropole Mariupol. Diese wiederum gilt als ein Hauptziel der russischen Kräfte.
Die Ukraine bestritt die russische Aussage, man habe auch das Kernkraftwerk in Saporischschja im Süden des Landes unter Kontrolle gebracht. Es ist das größte Atomkraftwerk Europas.
In der ukrainischen Kleinstadt Dniprorudne im Süden des Landes stellten sich offenbar mehrere Menschen unbewaffnet einer russischen Militärkolonne mit Panzern entgegen. Das zeigen mehrere Aufnahmen vom Rand von Dniprorudne, die in sozialen Netzwerken veröffentlicht wurden.
Zu sehen ist darin der Bürgermeister der Stadt, Jewhenij Matwjejew, der nach vorn läuft und mit den Fahrern der vordersten Panzers spricht. Die Männer im Hintergrund rufen "Geht nach Hause!" oder "Wir lassen Euch nicht durch". Nach einem kurzen Gespräch mit dem Bürgermeister drehen die Panzer um.
Die Separatisten in der ostukrainischen Region Donezk setzten nach eigenen Angaben die Mobilmachung derweil aus. Die erforderlichen Gebiete seien inzwischen besetzt worden, sagte der Chef der selbst ernannten "Volksrepublik", Denis Puschilin, im russischen Staatsfernsehen. Das habe man mit dem Aufruf zum Kampf erreichen wollen.
Die Aufständischen in den Gebieten Luhansk und Donezk haben bei den Kämpfen in den vergangenen Tagen mit Unterstützung russischer Streitkräfte von den ukrainischen Streitkräften kontrollierte Gebiete erobert.
Das Parlament in Lettland hat unterdessen einstimmig eine Gesetzesänderung beschlossen, die es lettischen Staatsbürgern erlaubt, als Freiwillige auf ukrainischer Seite den Kampf gegen den russischen Angriff zu unterstützen. Freiwilligen droht keine Strafverfolgung bei der Rückkehr nach Lettland. Vor der Abreise müssen sie sich als Reservisten bei der lettischen Armee registrieren.
Nach Angaben der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, sind bislang 102 Zivilpersonen getötet und 304 verletzt worden. Die tatsächlichen Zahlen dürften aber "erheblich höher" sein, sagte Bachelet. Die meisten Todesopfer seien bei Raketenangriffen zu verzeichnen gewesen.
Russland hatte wiederholt versichert, dass seine Truppen lediglich ukrainische Militäranlagen ins Visier nähmen. Die ukrainische Zivilbevölkerung sei nicht in Gefahr. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow machte zudem die Ukraine selbst für den Beschuss von Wohngebieten im eigenen Land verantwortlich. Ukrainische "Nationalisten" würden Zivilisten als menschliche Schutzschilde missbrauchen und Waffen in Wohngebieten stationieren. Russland habe nie gezielt auf Wohngebiete geschossen, so Peskow. Unabhängig konnten seine Angaben nicht überprüft werden.
Erstmals räumte das russische Verteidigungsministerium aber ein, dass es Tote und Verletzte unter seinen Soldaten gebe. Zudem seien "einige wenige" russische Soldaten gefangen genommen worden. Genaue Zahlen wurden nicht genannt.
Nach Angaben der ukrainischen Armee sollen auf russischer Seite seit Beginn des Krieges etwa 4500 Soldaten getötet worden sein. Außerdem seien Hubschrauber, Panzer und weitere militärische Fahrzeuge zerstört worden, erklärte der ukrainische Generalstab.
Nach US-Geheimdienstinformationen könnte sich Belarus noch heute am russischen Angriff beteiligen. Die Entscheidung des Staatschefs Alexander Lukaschenko hänge vom Ausgang der Gespräche zwischen Russland und der Ukraine ab, sagte ein hoher US-Geheimdienstbeamter.
Diese Gespräche, die im Grenzgebiet zwischen der Ukraine und Belarus stattfinden, haben inzwischen begonnen. Der belarusische Außenminister Wladimir Makej habe die Gespräche eröffnet, meldeten belarusische Staatsmedien und veröffentlichten Videos. Auch die ukrainische Abordnung sowie das russischen Außenministerium bestätigten den Beginn.