February 25, 2022 at 09:12PM aktuell: Kiew im Verteidigungsmodus - Die Lage in der Ukraine – eine Übersicht
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Kiew im Visier der Russen: Die russische Armee ist bei ihrem Angriffskrieg auf die Ukraine bis in die Hauptstadt Kiew vorgedrungen. Der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba berichtete von «schrecklichen russischen Raketenangriffen» auf die Millionenstadt.

Legende: Hier finden momentan Bodenkämpfe statt. SRF
Ukrainische Truppen rückten mit schwerer Militärtechnik in Kiew ein, um die Stadt zu verteidigen. «Die Stadt ist im Verteidigungsmodus», sagte Bürgermeister Vitali Klitschko der Agentur Unian zufolge.

Legende: Soldaten der ukrainischen Nationalgarde beziehen im Zentrum von Kiew Stellung. Bild vom 25. Februar 2022. Reuters
Die Bevölkerung von Kiew war aufgefordert worden, Zuflucht zu suchen. Die U-Bahn-Stationen der Hauptstadt mit etwa 2.8 Millionen Einwohnern dienten als Schutzräume.
Zerstörung und Angst in der Ukraine




Russlands Vorrücken: Die genaue militärische Lage blieb undurchsichtig. In der Stadt Charkiw waren am Nachmittag Zeugen zufolge Explosionen zu hören. Die Stadt Lwiw im Westen des Landes erlässt einem Bericht der Nachrichtenagentur Interfax Ukraine eine Ausgangssperre.
Russland setzte eigenen Angaben zufolge 118 ukrainische Militärobjekte «ausser Gefecht», darunter elf Militärflughäfen, und schoss fünf ukrainische Kampfflugzeuge und einen Hubschrauber ab. Die Angaben liessen sich nicht unabhängig überprüfen.
Russland ist nach Kremlangaben bereit zu Friedensverhandlungen mit der Ukraine. Moskau sei bereit, eine russische Delegation zu den Gesprächen in die belarussische Hauptstadt Minsk zu schicken, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Freitagnachmittag. Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski hatte das Angebot für ein Treffen dem russischen Staatschef Wladimir Putin zweimal unterbreitet.
Selenski hatte davor gesagt, dass der russische Angriff dazu dienen soll, ihn zu stürzen. «Nach unseren Informationen hat mich der Feind zum Ziel Nr. 1 erklärt, meine Familie zum Ziel Nr. 2». Er wolle in Kiew bleiben.
Einem russischen Militärsprecher zufolge eroberten die Russen zudem das ehemalige Atomkraftwerk Tschernobyl, knapp 70 Kilometer von Kiew entfernt.
Ukrainische Gegenwehr: Die ukrainischen Streitkräfte haben Russland nach eigenen Angaben bereits schwere Verluste zugefügt. Bisher hätten die einrückenden Truppen 2800 Soldaten «verloren», teilte das Verteidigungsministerium in Kiew am Freitagnachmittag mit. Dabei war unklar, ob es sich um getötete, verwundete oder gefangene Soldaten handeln soll. Ausserdem seien schätzungsweise bis zu 80 Panzer, mehr als 500 weitere Militärfahrzeuge sowie 10 Flugzeuge und 7 Hubschrauber zerstört worden, so die Nachrichtenagentur DPA. Die Angaben können derzeit nicht unabhängig überprüft werden.
Männliche Staatsbürger im Alter von 18 bis 60 Jahren dürfen das Land nicht mehr verlassen, weil sie einberufen werden könnten.
In einer Rede, die Wladimir Putin am Donnerstag – um 5 Uhr Kiewer Zeit – gehalten hatte, begründete der russische Präsident die Invasion als eine Art Selbstverteidigung. «Die Umstände erfordern entschlossenes und sofortiges Handeln von uns. Die Volksrepubliken im Donbass haben Russland um Hilfe gebeten. Ich habe deswegen eine Militäroperation angeordnet.»
Für SRF-Russland-Korrespondentin Luzia Tschirky entbehrt Putins Rede jegliche Fakten. Es ergebe keinen Sinn, den Donbass schützen zu wollen, dann aber die Hauptstadt Kiew anzugreifen, die nicht zu diesem Gebiet gehöre. Die Gefahr sei nie von der Ukraine ausgegangen, die Gefahr sei von Anfang an von der russischen Regierung ausgegangen, sagt Tschirky. Sie rechnet mit der vollständigen Okkupation des Landes.
Die russischen Truppen waren seit dem frühen Donnerstagmorgen aus mehreren Richtungen auf ukrainisches Gebiet vorgerückt: aus den für unabhängig erklärten Regionen Donezk und Luhansk im Osten aus, im Süden von der Krim aus und im Norden aus Belarus. Aus fast der ganzen Ukraine wurden später Explosionen gemeldet, verursacht durch Kampfflugzeuge, Raketen und Artillerie. Laut dem ukrainischen Grenzschutz drangen auch Bodentruppen in die Ukraine vor.
Wie sich die Beziehungen zwischen Moskau und der Ukraine zuspitzten lesen Sie hier.
Opfer und Flüchtende: Präsident Selenski sagte, in der ukrainischen Armee seien am ersten Tag der Invasion 137 Soldaten getötet und 316 Soldaten verletzt worden. Die Russen machten entgegen ihrer Zusicherung keinen Unterschied zwischen militärischen Zielen und Wohnhäusern, sagte er. Zugleich hielt er dem Westen mangelnde Unterstützung vor: «Wir verteidigen unseren Staat allein. Die mächtigsten Kräfte der Welt schauen aus der Ferne zu.»
Russland hat nach eigenen Angaben keine nennenswerten Verluste erlitten.
Nach Schätzungen der Vereinten Nationen sind in der Ukraine schon 100'000 Menschen auf der Flucht. Laut Flüchtlingshilfswerk UNHCR flohen bereits Tausende in Nachbarländer.
Weltweite Proteste gegen den Einmarsch






Anteilnahme auch in Russland: In Moskau habe es einzelne Protestaktionen gegeben, die aber rasch aufgelöst worden seien, wie Christof Franzen, ehemaliger SRF-Korrespondent in Russland berichtet. Er befindet sich derzeit in der russischen Hauptstadt. Es sei schwierig, eine klare Stimmungstendenz auszumachen. Der Kriegsbeginn sei vor allem für die liberale prowestliche Opposition ein Schock.
«Die progressiven Russen sind tief betroffen und frustriert. Viele sagen, dass sie sich schämen und Russland auf Jahrzehnte Schaden nehmen wird.» Aber es gebe auch jene, die dem offiziellen Kreml-Narrativ folgten – dass die Ukrainer mithilfe der USA einen Genozid in der Ostukraine begingen und dem ein Ende gesetzt werden müsse.
Erneut gibt es heute Sondersendungen zum Krieg in der Ukraine: Auf SRF 1 und srf.ch gibt es um 21 Uhr eine «Arena Spezial», nach «10 vor 10» folgt um 22:25 Uhr auf SRF 1 zudem eine auf 80 Minuten verlängerte «Arena» zum Thema. Laufend informieren wir Sie im Liveticker und auf SRF 4 News über die Situation in der Ukraine.
Tagesschau, 24.02.2022, 12:45 Uhr; agenturen/srf/acka/fise/kulc;blac/geta;